„Was wäre gewesen, wenn die Deutschen in der sowjetisch besetzten Zone 1948/1949 hätten mitwirken können?“ Diese Frage stellte Helmut Kohl am 1. Juli 1999 in der letzten Sitzung des Deutschen Bundestages in Bonn und erinnerte an den 23. Mai 1949, das Geburtsdatum unseres Grundgesetzes. „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass unsere Verfassung dann nicht wesentlich anders ausgesehen hätte“, antwortete er sogleich.
Kohl begründete: „Nach den Erfahrungen der Nazi-Barbarei wollten die Deutschen nie wieder unter einer totalitären Diktatur leben. Sie lehnten die Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus ebenso ab wie das Zwangssystem des Kommunismus.“ Wir Deutschen hätten „die bittere Lektion gelernt, dass Tyrannei in letzter Konsequenz Krieg bedeutet“, gab Helmut Kohl zu bedenken. Zunächst richte sich die Gewalt im Inneren gegen die eigenen Bürger, später - auch das zeige die Erfahrung - „wendet sie sich oft nach außen, gegen die Nachbarvölker“.
Von Anfang an gesamtdeutsch
Die Bundesrepublik Deutschland habe sich von Anfang an „nicht als westdeutscher Separatstaat betrachtet“, so Kohl. Vor allem Kritiker vom rechten und linken Rand des politischen Spektrums hätten dies zwar immer wieder behauptet. „Aber in Wahrheit handelten die Väter und Mütter unserer Verfassung – so schrieben sie es in die Präambel – auch für jene Deutschen, ´denen mitzuwirken versagt war‘“, betonte er. Im Übrigen sei der erste Artikel des Grundgesetzes „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ der Schlüssel zu allen anderen Werten. Er stelle die unveräußerlichen Rechte jedes Einzelnen über alle politischen und ideologischen Machtansprüche. „Das Grundgesetz hat sie von Anfang an für alle Deutschen eingefordert“, hielt Helmut Kohl fest.
Einheit in Frieden und Freiheit
Helmut Kohl, der nach der Bundestagswahl im September 1998 als „einfacher Bundestagsabgeordneter“ sprach, erinnerte an den gerade begangenen 50. Jahrestag unseres Grundgesetzes und den bevorstehenden zehnten Jahrestag des Mauerfalls. „Beide Daten, der 23. Mai wie der 9. November, stehen in einem sehr engen Zusammenhang“, verdeutlichte er und sagte weiter: „Beide Daten symbolisieren in einer herausragenden Weise die Stationen des Weges unserer Nation von der erzwungenen Teilung bis zur Einheit in Frieden und Freiheit.“ Die Rückkehr von Parlament und Regierung nach Berlin sei „die Krönung des jahrzehntelangen Strebens der Deutschen nach Einigkeit und Recht und Freiheit“, so Kohl abschließend.
Mehr zum „75 Jahre Grundgesetz“ und den Feierlichkeiten am 25. Mai in Bonn finden Sie hier.
Anmerkung: Vor dem Umzug nach Berlin tagte der Deutsche Bundestag am 1. Juli 1999 zum letzten Mal in Bonn. Helmut Kohl, damals bereits Altbundeskanzler, hielt in der vereinbarten Debatte „50 Jahre Demokratie - Dank an Bonn“ eine Rede, die vom ganzen Haus mit großem Beifall bedacht wurde.