Vor 30 Jahren: Neufassung des Paragrafen 218 StGB

Der Deutsche Bundestag verabschiedet das Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz, das aufgrund von Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts das neu gestaltete Recht zum Schwangerschaftsabbruch gemäß §218 StGB umfasst.

Zum Schluss war es dann ganz knapp. 262 Abgeordnete votierten dafür und 258 dagegen. Mit vier Stimmen Mehrheit passierte der Gesetzentwurf von CDU/CSU und FDP den Bundestag. Auch Helmut Kohl hatte die Initiative unterstützt.

Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

Der Bundestag hatte Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Mai 1993 umzusetzen. Die bisherige Gesetzeslage wurde in Teilen für verfassungswidrig erklärt. Die Begründung: Das Grundgesetz verpflichte den Staat, das ungeborene Leben zu schützen. Dies verlange, dass der Schwangerschaftsabbruch weiterhin grundsätzlich als Unrecht gelte und verboten sei. Nach einer Beratung dürfe der Abbruch in den ersten zwölf Wochen zwar "straflos" bleiben, müsse aber weiter als "rechtswidrig" gelten, also als Verstoß gegen die Rechtsordnung. Nur so werde Frauen in der Beratung bewusst gemacht, dass sie im Prinzip die Rechtspflicht haben, das Kind auszutragen. Grundsätzlich dürfe es auch keine Kostenübernahme der Krankenkassen von rechtswidrigen Eingriffen geben.

Entscheidungsfindung ein Dilemma

Es galt Rechtssicherheit zu schaffen und eine Balance zu finden zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und der Eigenverantwortung von Frauen. Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth brachte das Dilemma der Entscheidungsfindung in der Debatte am 26. Mai 1994 auf den Punkt: „Es gibt Regelungen, aber keine Lösungen. … Die Ambivalenz, dem Tatbestand gerecht zu werden, dass jeder von uns und die staatliche Gemeinschaft Leben zu schützen haben, ungeborenes und geborenes, und der Würde, der Entscheidungsverantwortung, der Mündigkeit der Frau gerecht zu werden, durchzieht das gesamte Verfassungsgerichtsurteil — mit allen Schwierigkeiten, die dann in der Umsetzung liegen.“

 

Beratung und Hilfen im Mittelpunkt

Die Regierungskoalition stellte die Hilfen mit ihrem Beratungskonzept in den Mittelpunkt. Angela Merkel, damals Bundesfamilienministerin, sah in dem Gesetzentwurf einen überzeugenden Vorschlag, „der sowohl dem Schutz des Lebens als auch den Gegebenheiten des tatsächlichen Lebens von Frauen, Eltern und Familien in unserer Gesellschaft entspricht.“ Ermutigung zur Fortsetzung der Schwangerschaft durch Aufzeigen von Hilfen „ermögliche erst eine abgewogene Entscheidung“, betonte Angela Merkel in der Debatte.

 

Anmerkung:
Erst am 21. August 1995 nach Verhandlungsrunden in Bundesrat und Vermittlungsausschuss trat die Reform des Abtreibungsrechts im Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetz in Kraft.

Bis heute gilt in Deutschland diese modifizierte Beratungslösung. Frauen, die in den ersten zwölf Wochen die Schwangerschaft abbrechen wollen, müssen zwingend davor zu einer anerkannten Beratungsstelle gehen. Nach der Beratung müssen sie eine "Überlegungsfrist" von drei Tagen einhalten. Sind die Voraussetzungen erfüllt, bleibt der Abbruch zwar rechtswidrig, aber straffrei. Darüber hinaus ist der Abbruch rechtmäßig, wenn es dafür bestimmte medizinische Gründe gibt oder es aufgrund einer Vergewaltigung zur Schwangerschaft kam.