von Michael Borchard
Wer – aus eigenem Willen – der Öffentlichkeit weitgehend verborgen bleibt und wem zugleich in einer Schlüsselfunktion Macht und Einfluss zugerechnet werden, ist ganz unweigerlich Gegenstand von allerlei Zuschreibungen, mal respektvoll, mal neidvoll, mal freundlich, mal unfreundlich. Im Dunst einer solchen Gerüchteküche bleiben der Mensch und seine Besonderheiten bedauerlicherweise etwas nebulös. Dass Juliane Weber als engste Mitarbeiterin von Helmut Kohl, die er selbst als junger Fraktionsvorsitzender im rheinland-pfälzischen Landtag 1965 aus mehreren Bewerberinnen ausgewählt hatte, eine wichtige Rolle für seinen politischen Aufstieg gespielt hat, kann niemand ernsthaft bezweifeln. Eduard Ackermann, ebenfalls ein treuer Unterstützer aus dem engsten Kreis um Helmut Kohl, hat in seinen Memoiren beschrieben, was für Juliane Webers Chef wichtig war: „Bei der Auswahl und im Umgang mit seinen engsten Mitarbeitern (…) galten für Helmut Kohl immer drei Prinzipien: Loyalität, Solidarität und Vertrauenswürdigkeit. (…) Helmut Kohl arbeitete und arbeitet am liebsten in einer Atmosphäre des Vertrauens und des Sich-aufeinander-Verlassen-Könnens. Deswegen hat er auch Mitarbeiter in seiner engeren Umgebung wie Juliane Weber.“
Helmut Kohl folgte ihrem Urteil über Menschen
Den Begriff der „Vorzimmerdame“, der nie auf Juliane Weber zutraf, hätte Helmut Kohl mit Empörung quittiert: In den Morgenlagen gehörte sie neben den Kanzleramtsministern, dem Regierungssprecher und ausgewählten Abteilungsleitern aus dem Kanzleramt und dem Presse- und Informationsamt zum engsten Zirkel. Auf Auslandsreisen, ob im Weißen Haus oder im Kreml, war sie dabei. „Und doch ist sie“, so raunt der Spiegel 1986, „mehr als die männlichen Mitglieder des Kohl-Kreises.“ Helmut Kohl vertraue voll nur einer Person in seiner Umgebung: Juliane Weber, ganz gleich um welches Thema es gehe, um seine geliebte Pfalz oder die Außenpolitik. „Der Enkel Adenauers, so leutselig er sich gerne gibt“, so der Spiegel, sei in Wahrheit verschlossen und auf der Hut vor jedermann. „Ihr allein öffnet er sich rückhaltlos. Er folgt ihrem Urteil über Menschen.“ Das mag mit der Eigenschaft zusammenhängen, die Hans-Dietrich Genscher einmal an ihr gelobt hat. „Sie hat einen klaren, vernünftigen Kopf und gesunden Menschenverstand“.
Die Fähigkeit zur Kontaktpflege
Auch Helmut Kohl hatte in ihr, wie er selbst sagte, „eine Naturbegabung im Umgang mit Menschen“ erkannt, die ihre volle Wirkung und ihr „Freundschaftsgenie“, wie es Wolfgang Bergsdorf als ebenfalls enger Vertrauter von Helmut Kohl beschrieb, vor allem auch in der Zeit der Kanzlerschaft voll entfaltet habe. Zweifellos hatte Juliane Weber ihren eigenen Anteil an den überragenden politischen Leistungen des Kanzlers der Einheit. Die Fähigkeit zur Kontaktpflege im besten Sinne hatte allerdings nicht nur Wirkung auf Helmut Kohl und seine Kanzlerschaft, sondern auch und gerade in das Bonner Kanzleramt hinein. Der Kohl-Biograph Klaus Dreher hat einmal geschrieben: „Auf dem Gebiet der Empfindlichkeit ist sie eine perfekt funktionierende Membrane, die (…) die Töne verstärkt oder abschwächt, die aus dem Chefzimmer herausdringen“.
Freundlich war sie immer
Wer das Glück und die Freude hatte, mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen, hat begriffen, dass sie auch – im guten Sinne – eine Art wandelnder Vermittlungsausschuss mit den weiten Fluren und Gängen des Kanzleramtes, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und weit darüber hinaus war – durchaus mit Herzenswärme und Menschlichkeit. Wer das Zimmer des Kanzlers nach Ausgang des Gesprächs besorgt verließ, wurde von ihr aufgebaut und mit Süßigkeiten getröstet. Freundlich war sie immer, auch wenn schlechte Nachrichten zu verteilen waren. Wer Rat suchte, bekam ihn ehrlich, verlässlich und ohne Hintergedanken. Juliane Weber hatte zudem ein phänomenales Gedächtnis: Noch nach Jahrzehnten erinnerte sie sich an Begegnungen, an Einzelheiten, an Namen. Nicht nur in der Politik, sondern auch in den menschlichen Beziehungen hat die leidenschaftliche Schwimmerin Juliane Weber immer den langen Atem gehalten.
Wichtige Rolle im Umfeld Helmut Kohls
Über die Gründung der Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung hat sie sich, die 2005 nach exakt 40 Jahren aus den Diensten von Helmut Kohl ausgeschieden war und mit ihrem Ehemann Benni Weber, dem ehemaligen Finanzchef des ZDF bei Bonn lebte, sehr gefreut. Es war ihr wichtig, dass die Leistungen von Helmut Kohl in der Gegenwart wahrgenommen werden und Wirkung für die Zukunft entfalten, wie sie dem Verfasser dieses Nachrufes selbst gesagt hat. Dass die Stiftung bei einer eigenen Veranstaltung in Bonn ganz bewusst auch den Kontakt zu den ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gesucht hat, hat sie aus vollem Herzen begrüßt und bedauert, bei einem ersten Treffen nicht dabei gewesen zu sein. Dass ein zweites Treffen mit ihr nun nicht mehr möglich sein wird, ist traurig. Wir nehmen das umso mehr zum Auftrag, in unserer Arbeit auch an die wichtige Rolle zu erinnern, die Juliane Weber im Umfeld von Helmut Kohl gespielt hat. Die Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung – Kuratorium und Vorstand – trauert um Juliane Weber. Unser Mitgefühl gilt ihrer Familie.