Die Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung trauert um Wolfgang Schäuble

*18. September 1942 (Freiburg i.Br.) – †26. Dezember 2023 (Offenburg)

 

Der Deutsche Bundestag richtete am Montag, 22. Januar 2024, einen Staatsakt zum Gedenken an Dr. Wolfgang Schäuble aus. Das Parlamentsfernsehen übertrug die Gedenkstunde live.

Hier finden Sie den Mitschnitt.

 

Nachruf auf Wolfgang Schäuble

von Jacqueline Boysen

Mehr als ein halbes Jahrhundert war Wolfgang Schäuble Mitglied des Deutschen Bundestages. Er prägte die Christdemokratie in Deutschland und bekleidete viele Ämter, war Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Kanzleramts, Fraktions- und Parteivorsitzender, Innen- und Finanzminister und schließlich Bundestagspräsident, bevor er 2021 vom Platz des Präsidenten wieder in die Bankreihen der Abgeordneten rückte.

Schäuble diente zwei Kanzlern, selbst wurde er nie Regierungschef. Damit, dass ihm dieses Amt verwehrt blieb, mag er gehadert haben – an Einfluss hat es dem 1942 in Freiburg im Breisgau geborenen Wolfgang Schäuble dennoch nie gefehlt.

Als Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt wurde, konnte der Jurist Wolfgang Schäuble bereits auf mehr als drei Legislaturperioden im Deutschen Bundestag zurückblicken. „Die Regierung von Helmut Kohl hat ab 1982 neuen Schwung in unser Land gebracht“, stellte Schäuble im Rückblick fest. Zeitlebens verlangte er Dynamik. Stillstand war nichts für ihn.

Helmut Kohl hatte die Zusammenarbeit mit Schäuble in der Fraktion schätzen gelernt. Dort setzte er ihn auch nach dem Regierungswechsel zunächst ein, bevor er seinen loyalen Mitstreiter 1984 zum Chef des Kanzleramts machte.. Wenig später wurde Wolfgang Schäuble zum ersten Mal Innenminister – eine Aufgabe, die ihm mit dem Mauerfall die Rolle des Architekten der Einheit bescherte: Schäuble handelte mit seinem ostdeutschen Gegenüber Günther Krause den Einigungsvertrag aus und legte damit die rechtliche Grundlage für den Beitritt der neuen Länder zur Bundesrepublik.

Sich zurückzuziehen, kam für ihn nicht in Betracht

Nicht einmal zehn Tage nach den Feiern zu Deutschen Einheit verlor Wolfgang Schäuble seine körperliche Unversehrtheit: In seinem Wahlkreis, im Beisein seiner ältesten Tochter, verletzte ein verwirrter Attentäter den Innenminister schwer. Dass Helmut Kohl ihn sofort im Krankenhaus besuchte, ihm Zeit ließ für eine dann doch überraschend kurze Rekonvaleszenz, hat Schäuble ihm stets hoch angerechnet. Sich zurückzuziehen, kam für ihn nicht in Betracht; mit eiserner Disziplin lernte er den Umgang mit dem Rollstuhl und kehrte auf das politische Parkett zurück. Damit hat er vielen Mut gemacht und Vorbehalte der Öffentlichkeit gegenüber körperlich eingeschränkten Menschen zerstreut.         

Schäuble, in Baden-Württemberg verwurzelt und von der Nähe seiner Heimat zu Frankreich geprägt, verfügte über ein feines Gespür für historische Notwendigkeiten. In der Bundestagsdebatte über die Frage, ob Berlin oder Bonn Hauptstadt des vereinigten Landes sein sollte, plädierte er 1991 in knappen Worten für den Umzug von Parlament und Regierung vom Rhein an die Spree. Es gehe um die innere Einheit – mit dieser Mahnung überzeugte er auch Abgeordnete, die ursprünglich an Bonn festhalten wollten. Berlin ehrte Wolfgang Schäuble später mit der Ehrenbürgerschaft, die ihn, der über oberflächliche Neigungen zu Glanz und Gloria gern spottete, mit Stolz erfüllte.

Wolfgang Schäuble war für Helmut Kohl ein kluger, unermüdlicher und unverzichtbarer Mitstreiter, in seiner Loyalität unerschütterlich. Obgleich er seinen Fehler eingestand, verlor auch er in der Spendenkrise an Glaubwürdigkeit. Die Wunde verheilte nie, es schmerzte ihn in seinem Streben nach Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit, dass Helmut Kohl seine Spender nie offenbarte. Für Schäuble wog das schwerer als die versagte Nachfolge, die Kohl seinem vermeintlichen Kronprinzen nie übergeben hatte.

Auch Angela Merkel konnte sich Schäubles Treue sicher sein

Dass Wolfgang Schäuble mit dem Beginn der Ära Merkel 2000 vom Partei- und Fraktionsvorsitz zurücktrat, änderte nichts an seinem politischen und persönlichen Einfluss. Angela Merkel wusste die Fähigkeiten und die innerparteiliche Aura Wolfgang Schäubles für sich und ihren Modernisierungskurs zu nutzten. Nach dem Regierungswechsel 2005 wurde Schäuble erneut Innenminister, später übernahm der strenge Rechner das Finanzressort, das angesichts der zu bewältigenden Krisen immer mehr europapolitisches Gewicht bekam. Auch Angela Merkel konnte sich Schäubles Treue sicher sein, selbst als sie beide in der Euro-Krise bisweilen unterschiedlicher Meinung waren. Dem Finanzminister erschien Merkels Position ökonomisch falsch, doch folgt er seiner Kanzlerin. Streit, so Schäubles tief empfundenes demokratisches Verständnis, ist in freiheitlichen Gesellschaften notwendig – doch wenn alle Argumente ausgetauscht sind, muss entschieden werden, auch in Fragen, in denen am Ende kein Kompromiss, sondern eine einsame Entscheidung steht. Das war für ihn politische Führung.

Mit Inbrunst kämpfte Wolfgang Schäuble zeitlebens für die europäische Einigung – auch dies ohne Furcht vor Gegenwind. Im Jahr 1994 hatte er mit dem gleichgesinnten Karl Lamers die vieldiskutierte Idee eines Kerneuropa entworfen, was beide als Vordenker auswies. Schäuble kam immer wieder darauf zurück, gerade angesichts der veränderten Weltlage nach dem Ende der Blockkonfrontation plädierte er immer wieder für ein starkes, wehrhaftes Europa.

Er beschränkte sich nicht auf das Redenhalten

Schäuble setzte inhaltliche Wegmarken, geprägt von seinem protestantischen Ethos, seinen konservativen Wertvorstellungen und seiner im Kern liberalen Haltung prägte er die CDU unter Angela Merkel, als sich die Partei modernisierte und der Mitte zuwandte. Auch als Bundestagspräsident beschränkte sich der wertegeleitete, strenge und von manchen gefürchtete Politprofi Wolfgang Schäuble nicht auf das Redenhalten. Er setzte dem stockenden Motor der deutsch-französischen Freundschaft mit der neuen Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, einer Kammer mit Abgeordneten aus der Assemblée nationale und dem Deutschen Bundestag, ein neues Ersatzteil ein, um die Gesetzgebungsprozesse in beiden Ländern stärker zu harmonisieren.

„Das Leben besteht nicht nur aus Politik“, bemerkte Wolfgang Schäuble in einem Interview. Doch trennen konnte er beides nicht: Für sich persönlich und für seine ihn stets eng begleitende Familie traf er immer wieder die Wahl für die Politik. Er schien immer Neues erledigen zu müssen, brachte seine Erfahrungen als Ratgeber ein, auch als seine Kräfte nachließen. Er vergeudete keine Zeit, die Endlichkeit des Lebens stand ihm vor Augen. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2023 ist Wolfgang Schäuble im Alter von 81 verstorben.

Die Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung trauert um eine prägende politische Persönlichkeit des wiedervereinigten Deutschlands. Um einen weitsichtigen Europäer und dem Nachbarn Frankreich eng verbundenen Badener. Um einen überzeugten Parlamentarier und um einen glaubwürdigen Christen, der um seine Grenzen wusste.   

 

Ein ausführliches Biogramm finden Sie hier.

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